Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg 2022 an Hanna Engelmeier verliehen
Für ihren Essayband „Trost. Vier Übungen“ (Verlag Matthes & Seitz Berlin, 2021) hat Hanna Engelmeier den mit 10.000 Euro dotierten Clemens-Brentano-Preis für Literatur der Stadt Heidelberg erhalten. Die in Berlin lebende Autorin nahm die Auszeichnung am 22. Juni 2022 im Rahmen einer Feierstunde aus den Händen von Bürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain im Palais Prinz Carl entgegen.
Die Jury hatte die Entscheidung für Engelmeier im März dieses Jahres gefällt. In der Jury-Begründung heißt es: „Kann Literatur Trost spenden? Dieser Frage geht Hanna Engelmeier in vier eigenständigen, sich ergänzenden Essays nach. Sie erkundet, wie unterschiedliche Texte und Textgattungen mit einem subjektiven Bedürfnis – dem nach Trost – umgehen. Mit einer so präzisen wie agilen Sprache, intellektuell herausfordernd und mit parodistischem Witz, eröffnet sie unerwartete Wissenswelten. Sie spannt Bögen von Rilke zu Lady Gaga, von Brentano zu David Foster Wallace. Und verführt so zum Weiterdenken und Weiterlesen, zum Staunen und Entdecken.“
Funken schlagende Gedankenspiele
Laudatorin Julia Encke würdigte Hanna Engelmeiers Kunst, die Gattung des Essays selbst erfahrbar und erlebbar zu machen: „‘Vier Übungen‘ heißt Hanna Engelmeiers Buch ‚Trost‘ im Untertitel. Es sind nichts anderes als vier Versuche, über Trost nachzudenken und – denkend, schreibend – Trost zu finden. Das Schöne aber ist, dass wenn man Hanna Engelmeiers Essays liest, man über Essays nichts wissen muss, sondern intuitiv begreift, was ein Essay ist, weil sie einen mit hineinzieht in ihre Aktion. Darin liegt ihre Kunst. Sie involviert uns in Gedankenspiele und Spurensuchen, Anekdoten und Zusammenführungen. Sie lässt Dinge aufeinanderprallen, die scheinbar wenig miteinander zu tun haben, und schlägt daraus neue Funken.“, so Julia Encke.
Trost suchen und Trost finden – in und durch Literatur
Bürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain lobte Engelmeiers Band als eine so facetten- wie aufschlussreiche Lektüre: „Trost benötigen wir, von der Kindheit bis zum Moment des Sterbens. Trost benötigen wir auch, wenn die Welt, in der wir leben, plötzlich eine andere ist. Weil ein Virus oder ein Krieg alle Werte auf den Kopf stellt, die bis dato zu gelten schienen. Lektüre ist dabei für viele Menschen ein Weg, Trost zu finden oder zumindest Trost zu suchen. Was aber heißt das: Trost in Lektüre zu suchen und ihn womöglich dort auch zu finden? Was passiert da eigentlich, wenn das persönliche Gefühl auf die erstmal abstrakten Buchstaben trifft? Genau diesen so komplexen wie hochspannenden Prozessen spürt die Autorin in ihrem Band nach.“
Er betonte zudem die Besonderheit des Heidelberger Literaturförderpreises: Deutschlandweit einzigartig sei, dass professionelle Literaturkritiker und Studierende als gleichberechtigte Jurymitglieder auf Augenhöhe miteinander diskutierten. In diesem Sinne fördere der Preis nicht nur die Autorinnen und Autoren. Einmal mehr zeige sich die enge Bindung von Stadt und Universität gerade im Bereich der UNESCO-Literaturstadt-Aktivitäten.
Preisträgerin Hanna Engelmeier verwies in ihrer Dankesrede darauf, dass die Gedichte Brentanos – unter anderem das von ihr oft gemurmelte „Wiegenlied“ – schon während des Schreibens eine Spur nach Heidelberg gelegt hatten: „Dass ich nur dem Murmeln nachgehen musste, um hierherzukommen, hat es mir leicht gemacht. Während ich ‚Trost. Vier Übungen‘ schrieb, hatte ich oft den Eindruck, mein Umgang mit den teils schwergewichtigen Quellen des Buches gliche der Arbeit des verhältnismäßig kleinen Baggers, der im März 2021 die Aufgabe hatte, das monumentale Frachtschiff ‚Ever Given‘ auszubuddeln, das sich im Suezkanal verkeilt hatte. Gegen das Gefühl des läppischen Buddelns hilft letztendlich auch kein Brentano-Preis, wobei der schon sehr gut dafür ist, daran zu glauben, dass zumindest den Leserinnen und Lesern in der Jury eingeleuchtet hat, was ich geschrieben habe. Was für eine Freude!“
Hintergrund:
Die Preisträgerin: Hanna Engelmeier, 1983 in Münster geboren, lehrt als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. Sie wurde mit einer Arbeit über die Geschichte der deutschen Anthropologie zur Zeit der frühen Darwin-Rezeption promoviert. Seit 2014 ist sie Autorin der Zeitschrift „Merkur“. Kritiken und Essays erschienen unter anderem in der „Süddeutschen Zeitung“, in „Sprache im technischen Zeitalter“ sowie in „ZEIT Online“. 2020 war sie Sprecherin der Jury des Deutschen Buchpreis.
Der Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg wird seit 1993 jährlich im Wechsel in den Gattungen Lyrik, Erzählung, Essay und Roman an deutschsprachige Autorinnen und Autoren vergeben, die mit ihren Erstlingswerken bereits die Aufmerksamkeit der Kritiker und des Lesepublikums auf sich gelenkt haben. Deutschlandweit einmalig ist, dass die Jury nicht nur mit professionellen Literaturkritikerinnen und -kritikern, sondern auch mit Studierenden des Germanistischen Seminars der Universität Heidelberg besetzt ist.
Der Jury des Clemens-Brentano-Preises gehören an: Thorsten Dönges (Literarisches Colloquium Berlin), Prof. Dr. Christine Lötscher (wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Zürich und Literaturkritikerin), Martina Senghas (Hörfunkjournalistin, SWR Mannheim), Dr. Jan Wiele (Feuilleton- und Literaturredakteur der FAZ) sowie die Germanistik-Studierenden der Universität Simon Hager, Linda Spitznagel und Yusheng Wang.
Die bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger sind: Simon Sailer, Levin Westermann, Gianna Molinari, Philipp Stadelmaier, Jan Snela, Thilo Krause, Saskia Hennig von Lange, Maximilian Probst, Philipp Schönthaler, Alexander Gumz, Wolfgang Herrndorf, Sven Hillenkamp, Andreas Stichmann, Felicia Zeller, Ann Cotten, Clemens Meyer, Stefan Weidner, Anna Katharina Hahn, Raphael Urweider, Andreas Maier, Doron Rabinovici, Sabine Peters, Hendrik Rost, Oswald Egger, Norbert Niemann, Benjamin Korn, Daniel Zahno, Jörg Schieke, Barbara Köhler, Gabriele Kögl und Günter Coufal.
Ergänzend: Infos zum Clemens-Brentano-Preis und zur UNESCO-Literaturstadt Heidelberg unter www.heidelberg.de/kulturamt und www.cityofliterature.heidelberg.de.