„Nur wer die Vergangenheit kennt, kann Fehler für die Zukunft vermeiden“

Stadt Heidelberg gedachte Opfer des Nationalsozialismus / Gespräch mit Zeitzeuge

Zeitzeuge Paul Eric Joseph sitzt bei einer Gedenkveranstaltung inmitten von Schülerinnen und Schülern, die ihm zuhören
Zeitzeuge Paul Eric Joseph (3. von links) spricht bei der Gedenkveranstaltung mit Heidelberger Schülerinnen und Schülern. Der heute 86-Jährige musste als Kind gemeinsam mit seiner Familie vor den Nazis aus Heidelberg fliehen. Neben ihm sitzt der Historiker Prof. Dr. Frieder Hepp, Leiter des Kurpfälzischen Museum, der die Veranstaltung moderierte. (Foto: Rothe)

Mit einer Gedenkveranstaltung im Großen Rathaussaal hat die Stadt Heidelberg am Montagabend, 27. Januar 2025, an die Opfer der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten erinnert. Bei dem Gedenken am 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau stand ein Austausch von Heidelberger Schülerinnen und Schülern mit dem Zeitzeugen Paul Eric Joseph im Mittelpunkt. Der heute 86-Jährige musste als Kind gemeinsam mit seiner Familie vor den Nazis aus Heidelberg fliehen. Die Geschichte der Flucht hat er in dem von ihm produzierten Dokumentarfilm „Die Würdigung“ aufgearbeitet, der vor der Veranstaltung kostenlos im Gloria und Gloriette Kino zu sehen war. Bei der Gedenkveranstaltung der Stadt steht Jahr für Jahr eine andere Verfolgtengruppe im Mittelpunkt – in diesem Jahr waren dies die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.

„Der millionenfache Mord an unschuldigen Menschen durch die Nationalsozialisten darf nicht in Vergessenheit geraten. Die Erinnerungskultur ist zentraler Bestandteil unserer demokratischen Gesellschaft in Deutschland. Und sie ist zentraler Bestandteil unseres Selbstverständnisses hier in Heidelberg. Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und Fehler für die Zukunft vermeiden. Daher ist es auch besonders wichtig, dass wir Schülerinnen und Schüler in dieses Gedenken miteinbeziehen und sie die Gelegenheit bekommen, mit den wenigen noch lebenden Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen“, sagte Bürgermeisterin Stefanie Jansen, die betonte: „Die Demokratie gerät vielerorts unter Druck, Diskriminierung und Antisemitismus nehmen zu. Wir müssen uns gemeinsam jeglicher Form von Hass und Hetze mit voller Kraft entgegenstellen.“

Nach der Ansprache von Bürgermeisterin Jansen sprachen zehn Schülerinnen und Schüler von Heidelberger Schulen mit Joseph über seine Erinnerungen und Familiengeschichte. Seine Vorfahren, die Familien Hochherr und Joseph, betrieben ab 1929 eine Tabakfabrik in Heidelberg in der Kaiserstraße 78/Ecke Ringstraße. Ein Jahr nach seiner Geburt musste er gemeinsam mit seiner Familie aufgrund der zunehmenden „Arisierung“ und Verfolgung aus Heidelberg fliehen. Um die Fluchterfahrungen für die Nachwelt aufzuarbeiten, hat er als Erwachsener die Fluchtroute nachvollzogen, mit damaligen Fluchthelferinnen und -helfern gesprochen und aus den Tagebüchern seines Vaters Informationen für einen Dokumentarfilm gesammelt. Der Film „Die Würdigung“ handelt von der Flucht seiner Familie vor der Deportation über Frankreich und Belgien in die Schweiz. Joseph lebt heute mit seiner Frau Carry in den Niederlanden.

Die an der Gesprächsrunde teilnehmenden Schülerinnen und Schüler hatten den Film vorab in ihren Klassen im Unterricht behandelt und auf dessen Grundlage gemeinsam Fragen für die Gesprächsrunde erarbeitet. Moderiert wurde diese von dem Historiker Prof. Dr. Frieder Hepp, Leiter des Kurpfälzischen Museums. Schülerinnen und Schüler der Elisabeth-von-Thadden-Schule informierten daneben in der Gedenkveranstaltung unter der Leitung von Lehrerin Dr. Eva Bernhardt über die Geschichte der Familien Hochherr und Joseph. Das Konzept für die Veranstaltung wurde von der Stadt Heidelberg in Zusammenarbeit mit der jüdischen Kultusgemeinde und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit entwickelt.

27. Januar: Internationaler Gedenktag

Am 27. Januar gedenken jährlich Menschen weltweit der Opfer des Nationalsozialismus. Dieser Gedenktag wurde 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ins Leben gerufen. Die Vereinten Nationen haben 2005 den Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts erklärt. Vor 80 Jahren, am 27. Januar 1945, wurden die Bilder aus dem befreiten Konzentrations- und Vernichtungslager zum unauslöschlichen Zeugnis einer in Gang gesetzten Todesmaschinerie, die erst gestoppt werden konnte, als ihr viele Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren – unter ihnen Juden, Sinti und Roma, kranke Menschen, Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle, Mitglieder von Glaubensgemeinschaften und politisch Andersdenkende. Sie wurden verschleppt, ausgebeutet, misshandelt und systematisch ermordet. Der Stadt Heidelberg ist die stetige Erinnerung an die Menschen, die unter den Gräueltaten der Nationalsozialisten litten, ein zentrales Anliegen.

Runder Tisch gegen Rassismus und Meldestelle Antisemitismus

Die Stadt Heidelberg hat im September 2024 den städtischen Runden Tisch gegen Rassismus gegründet und im November 2024 die kommunale Meldestelle Antisemitismus beim Amt für Chancengleichheit eingerichtet. Betroffene von antisemitischer Diskriminierung, Belästigung oder Gewalt, aber auch Menschen, die entsprechende Vorfälle beobachtet haben, können sich bei der Meldestelle melden – telefonisch unter 06221 58-15545 oder per E-Mail an meldestelle_antisemitismus@heidelberg.de. Bei Bedarf kann der Kontakt zu spezialisierten Beratungs- und Bildungsangeboten in Heidelberg und auf Landesebene hergestellt werden.

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